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„Einmal breifrei“-Autorin Loretta Stern im Interview

Loretta SternLiebe Loretta, in dem Vorwort deines Buches „Einmal breifrei, bitte!“ schreibst du, dass selbst die American Academy of Pediatrics zugibt: „DIE BESTE METHODE ZUM BEIFÜTTERN IST NICHT BEKANNT“. Wie kommt es deiner Meinung nach, dass in Deutschland fast flächendeckend die Beikost-Einführung mit Karotten- oder Pastinaken-Brei als „der richtige Weg“ bekannt ist?

Irgendwie wird das als so eine Art scheinbares traditionelles Wissen immer und immer weitergegeben, und das trotz mittlerweile neuer Studienlage. Selbst als ich noch kein Kind hatte, hatte ich schon mal von Freundinnen gehört, dass man angeblich zuerst eine Sorte Gemüse geben müsse aus bestimmten Gründen, dass man nach und nach die Stillmahlzeiten ersetzen sollte und all solche Sachen. Die Industrie tut natürlich auch das ihre dafür – es gibt Unmengen von Prospekten und Broschüren, die redaktionell aussehen, aber eigentlich bunt ausgerollte Anzeigen sind. So gerät man in eine Art Zugzwang, lässt sich sehr leicht verunsichern und glaubt dann auch, dass man das eben so machen muss. Aber schauen wir mal ein Land weiter, nach Frankreich beispielsweise – da ist das, was man machen muss, schon wieder ganz anders. Beispielsweise wird hier empfohlen, schon sehr früh dem Kind Joghurt anzubieten, was bei uns aus sozusagen klassischer Sicht erst viel später denkbar ist!

In deinem Buch bin ich über den Begriff „PASSIVE NAHRUNGSAUFNAHME“ gestolpert. Du beschreibst damit die strengen Mengen- und Zeitvorgaben von Baby-Nahrungs-Herstellern, an die Mütter sich akribisch halten, und die wenig Wahlmöglichkeiten für das Baby lassen. Warum, deiner Meinung nach, ist das „MITMACHEN“ beim Essen, also „AKTIVE NAHRUNGSAUFNAHME“, so wichtig für Kinder – auch schon im Baby-Alter?

Oh, da gibt es für mich etliche Gründe. Weil das Kind so gleich den Zusammenhang zwischen Hungergefühl und Nahrungsaufnahme lernt: „Aha, wenn es bei mir so seltsam grummelt im Bauch, dann hilft es, wenn ich diese interessant schmeckenden Dinge verspeise, die sich meine Eltern auch immer in den Mund schieben!“. Weil es ein ganz wunderbares Gefühl ist, eine so bedeutende Handlung „wie die Großen“ autark auszuführen. Weil es die Auge-Hand-Mund-Koordination schult und fördert. Weil das Kind von Anfang an seinen eigenen Geschmackssinn entwickeln kann. Weil die Eltern angenehmerweise gleichzeitig essen können. Weil vermittelt wird, dass diese gemeinsamen Mahlzeiten wirklich gemeinsame Zeit beim Mahl bedeuten. Huch, ich kann gar nicht aufhören, Vorteile aufzuzählen!

BreifreiWenn mein Kind selbst die Menge des Essens bestimmt, woran merke ich dann, OB ES WIRKLICH GENUG GEGESSEN HAT? (Und was tue ich, wenn es das von alleine nicht macht?)

Ganz einfach: indem es aufhört, sich ernsthaft mit dem Essen zu beschäftigen. Es nur noch in der Gegend herumschiebt, es nun noch von der Arbeitsfläche gen Boden befördert. Wohlgemerkt: nur noch. Denn das grundsätzliche Experimentieren muss erlaubt sein, da braucht man starke Nerven: das Kind muss die Materie erkunden, kennenlernen, physikalische Erkenntnisse ziehen können, sonst macht die Esserfahrung doch gar keinen Spaß!
Da ich nach jeder angebotenen Mahlzeit stille oder die Flasche gebe, muss ich mit praktischerweise überhaupt keine Sorgen machen, ob es genug gegessen hat. Denn diese Notwendigkeit besteht ja gar nicht. Irgendwann unterwegs im Abenteuer Nahrungseinführung werde ich aber dann merken, dass mein Kind nach einer Mahlzeit gar keine Milch mehr trinken will – das ist dann der Zeitpunkt, an dem ich ernsthaft feststelle, dass mein Kind wirklich genug gegessen hat.

„MEIN KIND SPIELT NUR MIT DEM ESSEN, bröselt es auseinander, isst es aber nicht.“ – Was rätst du Müttern, die an dieser Situation verzweifeln?

Ruhig bleiben. Oft fängt man, unter Einfluss eines altmodisch oder besser gesagt konventionell geschulten Kinderarztes oder unter Beobachtung der eigenen Eltern viel zu früh an mit der Beikost. Wenn das Kind noch gar nicht bereit ist dafür. Die Beikostreife tritt bei altersgerecht entwickelten Kindern im Durchschnitt um die Vollendung des sechsten Lebensmonats ein. Davor ist der Zungenstoßreflex noch viel zu stark ausgeprägt, selbst Löffel voller Brei werden energisch wieder aus dem Mund hinausbefördert. Nochmal: solange das Kind weiterhin nach Bedarf gestillt wird bzw. Fläschchen bekommt, ist es ausreichend versorgt. Da darf es ruhig bröseln, spielen, die Nahrung erkunden. Solange es die eigenen Nerven nicht zu sehr strapaziert – hat man eine halbe Stunde später einen wichtigen Termin und trägt deshalb einen wollweißen Angorapullover – ist es mehr als sinnvoll, weder Broccoli noch gegarte Rote Bete anzubieten!

Ich musste laut lachen bei deiner Anekdote zum Thema Essen mit bzw. ohne Besteck: Man steht mit stolz geschwelgter Brust vorm eigenen Kind und erwartet anerkennden Worte für dessen Taten – und erntet doch nur wieder einen komischen Kommentar. Irgendwie passiert das ja immer wieder, dass man für einen – aus eigener Sicht – Erfolg von jemandem, der es anders macht, kritisiert wird. Ist es dir in der Öffentlichkeit oder auch im Freundes und Verwandtenkreis häufiger passiert, dass du FÜR DIE ART, WIE DU KARLINE ANS ESSEN HERANGEFÜHRT HAST, KRITISIERT WURDEST?

Ja, natürlich – das bleibt wohl nicht aus, wenn man einen experimentelleren Weg ausprobiert als die meisten Anderen. Aber hier ist es ja egal, ob man nun Beikost nach Bedarf, Stoffwindeln oder vielleicht ein neues, im Freundeskreis noch nicht bekanntes Tragetuch ausprobiert.

Irgendwer sagt immer, dass er echt nicht weiß, ob das gut nun gut sei.In meinem Fall – die Nahrungseinführung bei meiner Tochter ist nun reichliche acht Jahre her, damals waren wir wirklich noch Exoten – hörte ich aus meinem Umfeld des Öfteren, dass ich wohl mit meiner Vorgehensweise ausdrücken wolle, dass der konventionelle Weg nicht richtig gewesen sei? Dass man dann also etwas falsch gemacht habe, seinen Kindern gar etwas Bedeutendes vorenthalten? Seltsam, wie häufig sich Co-Eltern angegriffen fühlen, wenn man sich für einen anderen Weg entscheidet als sie.

Was auch sehr oft angesprochen wurde, war die Vermutung, dass Karline, weil ich ja weit über den sechsten Lebensmonat hinaus stillte, nicht genügend mit Eisen versorgt sei – denn in entsprechenden Babybreizubereitungen für dieses Alter sei viel mehr Eisen enthalten als in der Muttermilch. Tatsächlich kann aber das Lactoferrin, das Eisen aus der mütterlichen Milchversorgung, viel besser von Babys Stoffwechsel aufgespalten und verwertet werden als das der industriellen Babynahrung zugesetzte.

Wir bedanken ganz herzlich uns für das Interview

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